Dr. Annette Chalut - Ein Nachruf

14.11.2021

Das Internationale Ravensbrück Komitee trauert um Dr. Annette Chalut, die am 8. November 2021 verstorben ist

Das IRK trauert um die französische Überlebende und ehemalige Präsidentin und Ehrenpräsidentin des Internationalen Ravensbrück Komitees Annette Chalut, die am 8. November 2021 im Alter von 97 Jahren in Paris verstarb. Zum Tode von Annette Chalut sagte die Leiterin der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, Andrea Genest: „Wir denken mit großer Dankbarkeit an Annette Chalut, an ihr unermüdliches Engagement, mit dem sie sich für den Erhalt des historischen Ortes des Frauen-Konzentrationslagers einsetzte, sowie ihre beratende Begleitung bei der Erarbeitung der 2013 eröffneten Dauerausstellung. Sie war eine konstruktive Gesprächspartnerin in der Frage, wie die Erinnerung an das Frauen-Konzentrationslager auch in der Zukunft gestaltet werden kann. Annette Chalut hinterlässt eine große Leerstelle, als beeindruckende Zeitzeugin und Freundin der Gedenkstätte bleibt sie uns unvergessen. Unser tiefes Mitgefühl gilt ihrer Familie.“ Annette Weill, verheiratete Chalut, wurde am 29. April 1924 in Paris geboren. Nach der deutschen Besatzung der freien Zone Frankreichs 1942 engagierte sie sich im Widerstand und nahm den Decknamen Warnod an. Gemeinsam mit ihrer Schwester und ihrem Vater und mit kirchlicher Unterstützung beschaffte sie unter anderem gefälschte Papiere für jüdische Inhaftierte und schleuste sie aus den Lagern. Einigen konnte sie zur Flucht über die Grenze verhelfen. Nach Verhaftung durch die Gestapo aufgrund ihrer Aktivitäten in der Résistance wurde sie am 18. Mai 1944 in das KZ Ravensbrück und im Juni desselben Jahres in das KZ-Außenlager Hannover-Limmer deportiert, wo sie bei der Firma Continental-Gummiwerke AG Zwangsarbeit leistete. Am 15. April 1945 erlebte sie im KZ Bergen-Belsen ihre Befreiung durch die britische Armee.

Nach dem Krieg setzte Chalut ihr Studium der Medizin fort, dass sie 1949 mit der Promotion abschloss. Sie arbeitete anschließend als Ärztin. Als Beauftragte des Office National des Anciens Combattants et Victimes de Guerre lag ihr besonderes Augenmerk auf der Unterstützung der ehemaligen Deportierten, die in den deutschen Konzentrationslagern schwere Gesundheitsschäden davongetragen hatten. Sie war zudem Mitglied der Sozial-Medizinischen Kommission im Concours National de la Résistance et de la Déportation, die im französischen Bildungs- und Jugendministerium angesiedelt ist. Seit 1946 war Annette Chalut in der Amicale des Anciens Déportés de Bergen-Belsen aktiv. 1990 wurde sie in den Vorstand der französischen Vereinigung der ehemaligen internierten und deportierten Widerstandskämpferinnen gewählt, die sie ab 1992 im Internationalen Ravensbrück-Komitee vertrat. Von 1999 bis 2015 war sie Präsidentin des Internationalen Ravensbrück Komitees und engagierte sich in dieser Eigenschaft sechzehn Jahre im internationalen Beirat der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten. 2013 erhielt sie den Verdienstorden des Landes Brandenburg für ihr langjähriges Engagement für die Verfolgten des Naziregimes. Ministerpräsidenten Matthias Platzek würdige ihren Einsatz als Zeitzeugin „in Vorträgen, Interviews, Filmen – in Frankreich und in anderen europäischen Ländern.“ Sie erhielt zahlreiche weitere Auszeichnungen, darunter 2016 den Orden des Grand Officier de La Légion d’Honneur (Großoffizier der Ehrenlegion). Unter dem Titel „Erinnerung bewahren – authentische Orte erhalten – Verantwortung übernehmen“ verabschiedete sie 2009 gemeinsam mit anderen Vertreterinnen und Vertretern internationaler Überlebendenverbände ein Vermächtnis für die Nachfahren. Darin heißt es: „Die letzten Augenzeugen wenden sich an Deutschland, an alle europäischen Staaten und die internationale Gemeinschaft, die menschliche Gabe der Erinnerung und des Gedenkens auch in der Zukunft zu bewahren und zu würdigen. Wir bitten die jungen Menschen, unseren Kampf gegen die Nazi-Ideologie und für eine gerechte, friedliche und tolerante Welt fortzuführen, eine Welt, in der Antisemitismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus keinen Platz haben sollen.“

Foto: Jeanine Bochat. IRK Konferenz Paris 2014