19.07.1901 (Wien) – 28.01.1994 (Wien)
Arbeiterin, Gewerkschafterin, Frauenrechtlerin, Abgeordnete im Österreichischen Nationalrat
Ravensbrück: 20. April 1940 – 28. April 1945
Rosa Jochmann wurden am 19. Juli 1901 in Wien-Brigittenau als viertes von insgesamt sechs Kindern der Arbeiterfamilie Karl und Josefine Jochmann, Eisengießer und Wäscherin, geboren. Zwei ihrer älteren Geschwister starben noch im Kindesalter. Die Mutter starb 1915. Rosa, 14 – jährig musste sich um die beiden jüngeren Schwestern, den Bruder und den Vater kümmern. Und sie half, das Haushaltsgeld aufzubessern: als Fabrikarbeiterin in einer Senffabrik, später in einem Kabelwerk, in Tag- und Nachtschicht.
Mit 21 Jahren wurde sie zur Betriebsrätin gewählt, weil sie bei einer Gewerkschaftsversammlung durch eine besonders mutige Rede aufgefallen war. Als Vorsitzende des Betriebsrates musste sie in ihrer späteren Firma, die ein Saisonbetrieb war, die Listen der zu Kündigenden zusammenstellen. Und obwohl sie wusste, wie dringend man zu Hause auf den kargen Lohn angewiesen war, standen ihre beiden Schwestern auf dieser Liste immer ganz am Anfang.
Käthe Leichter, eine Sozialdemokratin aus einer wohlhabenden jüdischen Familie - später ihre Leidensgefährtin in Ravensbrück – förderte sie und gab ihr die Möglichkeit, am „Handbuch der Frauenarbeit“ mitzuarbeiten. 1926 gehörte Rosa zum ersten Lehrgang an der „Arbeiterhochschule“ für Funktionäre der SPÖ und der Gewerkschaften. Zu ihren Lehrern gehörten bekannte österreichische Sozialdemokraten, wie Otto Bauer und Karl Renner.
Ausgerüstet mit vielen Jahren persönlicher Erfahrungen als Arbeiterin in verschiedenen Betrieben und nach dem Abschluss der Arbeiterhochschule begann Rosa Jochmann hauptberuflich als Funktionärin zu arbeiten; zuerst von 1925 bis 1932 als Sekretärin in der Chemiearbeitergewerkschaft, dann als Zentralsekretärin in der Frauenorganisation der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP). Auf dem (vor dem Verbot) letzten Parteitag der SPÖ im Herbst 1933 wurde sie in den Parteivorstand berufen.
1934 nach dem Verbot der SPÖ durch Bundeskanzler Dollfuß war sie dabei, als am 26. Februar 1934 in einer Privatwohnung im 9. Bezirk die „Revolutionären Sozialisten“ gegründet wurden.
Mit dem Ausweis und unter dem Namen ihrer Schwester Josefine Drechsler reiste sie wiederholt in die Tschechoslowakei und schmuggelte Flugblätter und die illegale „Arbeiterzeitung“ nach Österreich. Bei einer dieser Aktionen wurden sie am 30. August 1934 in Wiener Neustadt verhaftet. Drei Monate saß sie im Polizeiarrest und wurde anschließend zu einem Jahr Gefängnis verurteilt.
Kaum wieder auf freiem Fuß, war sie weiter für die illegalen „Revolutionären Sozialisten“ tätig; kümmerte sich z. B. um die Freunde, die auf ihren Prozess warteten, der dann 1936 stattfand. Unter ihnen befand sich ihr damaliger Lebensgefährte, nach 1945 Staatssekretär, Franz Rauscher.
Am 22. August 1939 wurde Rosa Jochmann von der Gestapo wegen ihrer Tätigkeit bei den „Revolutionären Sozialisten“ verhaftet. Nach monatelanger Haft wurde sie mit dem Vermerk „Rückkehr unerwünscht“ nach Ravensbrück deportiert.
In Ravensbrück setzte sie sich als Blockälteste in Baracke 1, später Baracke 3, die vor allem mit politischen Häftlingen belegt war, unermüdlich für ihre Kameradinnen ein. Liest man die Erinnerungen ehemaliger Frauen von Ravensbrück, so wird sehr oft die „Einquartierung“ in den Block der „Blockova Rosl“ noch im Rückblick mit Erleichterung festgestellt. Zweimal wurde sie – auf die Denunzierung anderer Häftlinge hin – mit Bunkerhaft in einer dunklen Zelle bei Essensentzug bestraft. Das erste Mal, weil sie an einer Kulturveranstaltung auf dem jüdischen Block teilgenommen hatte. Das zweite Mal, als sie 1943 für das „Organisieren“ von Lebensmitteln für „ihre Leute“ und der absurden Behauptung, sie hätte Thomas Mann per Radio die Nachrichten für seine BBC-Reden zukommen lassen. Nachdem sie daraufhin zu fünf Monaten Bunker verurteilt worden war, bangten viele Kameradinnen um ihr Leben. Rosa Jochmann überstand die Bunkerhaft und blieb ungebrochen.
Nach der Befreiung des Lagers durch die Rote Armee blieb sie, um für die Kranken und Schwachen zu sorgen. Eine Namensliste der noch im Lager befindlichen Österreicherinnen wurde nach Wien gesandt, in der Hoffnung, dass von der Österreichischen Regierung für die Frauen ein Transport nach Hause organisiert würde. Nachdem daraus nichts wurde, ergriffen Rosa Jochmann und Friedl Sedlacek eine sich bietende Möglichkeit, mit einem Auto zunächst nach Prag, dann mit dem Zug nach Bratislava, anschließend bis Korneuburg und endlich – zu Fuß - nach Wien zu kommen. In Wien amtierte bereits wieder Dr. Renner und dieser verschaffte ihnen einen Lastwagen, einen Autobus, vier Kraftfahrer und Proviant. Ein russischer Offizier wurde zu ihrer Begleitung ausersehen. Rosa Jochmann und Friedl Sedlacek ließen es sich nicht nehmen, den beschwerlichen Weg nach Ravensbrück noch einmal anzutreten, um ihre etwa 60 Kameradinnen, darunter eine Mutter mit einem Säugling, sicher und fürsorglich nach Hause zu holen. Begleitet wurden sie dabei von der gerade erst aus Ravensbrück nach Hause gekommenen Barbara (Betty) Wenz und Rudolfine Muhr, später SPÖ-Frauenzentralsekretärin und Bundesrätin.
Am 17. Juli 1945, in der Früh um 6 Uhr begann die Fahrt im Lager, am 20. Juli 1945, am frühen Nachmittag, kamen alle wohlbehalten in Wien an.
Rosa Jochmann war ausgebombt. Obwohl Abgeordnete, hat sie sich viele Jahre mit einer Einraumwohnung begnügt. Noch im Sommer 1945 setzte sie ihre politische Arbeit als Frauenzentralsekretärin der SPÖ fort. Bei den ersten Wahlen im Herbst 1945 wurde sie in den Nationalrat gewählt, dem sie ununterbrochen bis zu ihrer Pensionierung im Jahr 1967 angehörte.
Bei der Gründung des Bundes Sozialistischer Freiheitskämpfer im Jahr 1946 wurde sie dessen Vorsitzende und 1959 wählte man sie zur Vorsitzenden der SPÖ-Frauen und damit zur stellvertretenden Vorsitzenden der Partei.
Ihre Arbeit im Parlament galt vor allem der Opferfürsorge. Hier konnte sie vielen ihrer Kameradinnen und ehemaligen Leidensgefährtinnen helfen. Berta Fröhlich, Kind einer Wiener Roma-Familie, von 1939 – 1945 in Ravensbrück, erinnerte sich: „Ja, die war mit uns im KZ. Sie war politisch, sie hat uns furchtbar gern gehabt. Wie ich (nach Wien) gekommen bin, habe ich keine Wohnung gehabt, und dann habe ich einen Brief geschrieben und bin hingegangen, wo sie ist, im Parlament. Dann hat sie mir zurückgeschrieben. Ich soll kommen …Und auf einmal kommt sie, und ich stehe auf und habe sie erkannt. Und sie sagt: ‚Genossin, was brauchst du?‘ Ich sage: ‚Ich brauche eine Wohnung.‘ ‚Wird gemacht.‘ Sie hat so viel gemacht, dass ich diese Wohnung gekriegt habe.“
Nach ihrer Pensionierung nahm Rosa Jochmann sich viel Zeit, um als Zeitzeugin zu sprechen. 1981 ernannte sie die Stadt Wien zur Ehrenbürgerin. 1984 – 1994 war sie Obfrau (1. Vorsitzende) der österreichischen Lagergemeinschaft Ravensbrück.
Rosa Jochmanns Rede auf dem Wiener Ballhausplatz 1988 zum 50. Jahrestag der Auslöschung Österreichs am 12. März 1938 war der Höhepunkt der Kundgebung. Ihre Rede wurde wie ein Vermächtnis aufgenommen: „Niemals zu vergessen und den Kampf weiter zu führen für eine Welt des Friedens, der Freiheit und der Menschlichkeit.“ Für Rosa Jochmann war das immer auch eine Welt des Sozialismus.
Als sie im Januar 1994 starb, wurden die Beisetzungsfeierlichkeiten zu einer großen und bewegenden Manifestation für die „Blockova Rosl“, die sich der Devise aller KZ-Häftlinge „Niemals vergessen!“ stets verpflichtet gefühlt hat. Für Viele war sie zu einer Persönlichkeit geworden, die für ein besseres Österreich stand.
(*Quellen: Rainer Mayerhofer, „Eine Symbolfigur für Demokratie, Freiheit und Menschenwürde“, Artikel zum 100. Geburtstag von Rosa Jochmann, Wiener Zeitung vom 19. Juli 2001, S. 3 und Frauen aus Ravensbrück, Kalender 1995, Hrsg.: Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten / Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, 1994, edition Hentrich, ISBN 3-89468-153-5) und Helga Amesberger / Brigitte Halbmayr, (Hrsg.) Vom Leben und Überleben –Wege nach Ravensbrück“, Band 2 Lebensgeschichten, S. 57, Katrin Auer –Interview mit Berta Fröhlich: „Die erste Zeit war furchtbar. Ich habe geglaubt, ich halte das nicht aus.“, 2001, Verlag ProMedia, Wien, ISBN 3-85371-176-6) und bei www.rosajochmann.at
*Nachlesen über Rosa Jochmann kann man u. a. in: Reden und Aufsätze von Rosa Jochmann in dem Buch „Rosa Jochmann. Ein Kampf, der nie zu Ende geht“ von Hans Waschek im Löcker-Verlag, 1994; Maria Sporrer, Herbert Steiner (Hrsg.) Rosa Jochmann - Zeitzeugin, Europaverlag 1983; Wer war Rosa Jochmann - Dokumente/Berichte/Analysen, Herausgegeben von Franz Richard Reiter, Ephelant Verlag 1997 Veronika Duma: Rosa Jochmann - Politische Akteurin und Zeitzeugin ÖGB-Verlag 2019 Rainer Mayerhofer: Doch die Menschen liebe ich über alles - Rosa Jochmann - Eine Biografie in Briefen, ÖGB-Verlag 2020 Die beiden letzten Titel sind Neuerscheinungen und sollten bei der Befreiungsfeier in Ravensbrück im April 2020 präsentiert werden. *
VGA Wien
VGA Wien