Von Pruszków nach Ravensbrück

11.08.2020
12 000 Frauen wurden zwischen Mitte August und Anfang Oktober 1944 aus dem aufständischen Warschau über Pruszków nach Ravensbrück deportiert. Darunter viele mit ihren Kindern.
ehemaliges Durchgangslagers "Dulag 121" Pruszków, Foto: B. Piotrowska
ehemaliges Durchgangslagers "Dulag 121" Pruszków, Foto: B. Piotrowska

Am 1. August 1944 begann die polnische Untergrundarmee „Armia Krajowa“ in Warschau den offenen Kampf gegen die deutschen Besatzer. Insgesamt 63 Tage dauerte der ungleiche Kampf. Er endete mit der Kapitulation der Aufständischen. Der Oberbefehlshaber der Armia Krajowa, General Kazimierz Iranek-Osmecki, unterzeichnete am 2. Oktober 1944 die deutschen Kapitulationsbedingungen, die am 3. Oktober durch General Komorowski verkündet wurden. Zwischen 130 000 und 180 000 Zivilisten verloren in diesen 63 Tagen ihr Leben.

Der Exodus von Warschau began. Die Deutschen verfolgten einen Plan zur vollständigen Entvölkerung von Warschau.

Hitlers Befehl zur Zerstörung Warschaus

Neben der Wehrmacht waren zu dieser Zeit auch Einheiten der SS RONA Brigade und der 36. SS Dirlewanger Division, bekannt für ihre Brutalität und neben anderem verantwortlich für die Massaker an Zivilisten in den Bezirken Wola, Ochota und Powiśle, beteiligt. Die Menschen, die sich immer noch in der Stadt aufhielten, wurden brutal aus ihren Kellern und Wohnungen geworfen und zu den Lagern in Pruszków, Ursus und Piastów gebracht. Oft verließen sie ihre Wohnungen ohne Essen, warme Kleidung oder Küchengeräte. Dieser Prozess war begleitet von Raub, Vergewaltigung, Mord und Brandstiftung durch die Deutschen.

Von den Transit- bzw. Durchgangslagern wurden Zehntausende Zivilisten in Konzentrationslager oder zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt. Am schlimmsten traf es diejenigen, die in die Konzentrationslager verschleppt wurden.

Die Eisenbahnreparaturwerkstatt in Pruszków wurde als Durchgangslager (Dulag) 121 genutzt. Von hier gingen Transporte nach Buchenwald, Mauthausen, Stutthof, Auschwitz, Sachsenhausen, Oranienburg, Ravensbrück, Groß-Rosen, Neuengamme, Flossenbürg und Dachau ab. Während der Nutzung des Dulag 121 wurden von hier etwa 60 000 Gefangene verschleppt; die meisten von ihnen verloren ihr Leben.

12 000 Frauen wurden zwischen Mitte August und Anfang Oktober 1944 aus dem aufständischen Warschau über Pruszków nach Ravensbrück deportiert. Darunter viele mit ihren Kindern.

Zu ihnen gehörte die neunjährige Barbara Piotrowska, heute Mitglied des IRK, die zusammen mit ihrer Mutter, Marta Stachowicz, vom Durchgangslager (Dulag) 121 in in Pruszków nach Ravensbrück deportiert wurde. Barbara Piotrowska erinnert sich:“ Unser Güterzug mit Waggons ohne Dach hielt während der Nacht an. Es war dunkel, aber ein schreckliches Schweinwerferlicht erschreckte mich. Männer mit Hunden warteten bereits auf uns und wir mussten aus den Waggons springen. Ich war neun Jahre alt und ängstigte mich in dieser Situation. Alle mussten wir zu einem großen Zelt laufen. Das Zelt war überfüllt, aber meine Mutter fand für uns ein wenig Platz an einer Seite. Es war ein großes Durcheinander und wir verloren der Kontakt zu unseren Nachbarn aus Warschau. Meine größte Angst während der gesamten Zeit war es, in dieser Menschenmenge meine Mutter zu verlieren.“

Quelle: Erinnerungen von Barbara Piotrowska, Mitglied des IRK, März 2020

Nach dem Warschauer Aufstand wurde die 21-jährige Alicja Kubecka verhaftet und nach Pruszków gebracht, bevor man sie einen Tag später nach Ravensbrück deportierte. „Am 3. September wurden wir Frauen und Männer gemeinsam in sogenannte Viehwagen gesteckt. (…) Nach einigen Stunden hielt der Zug (in Breslau) an, und die Tür wurde aufgeschoben. Leute auf dem Bahnsteig, hauptsächlich Deutsche, begannen, uns Brot, Tomaten und Wasser zu reichen. Das dauerte aber nicht lange, weil die uns eskortierenden Nazisoldaten die Tür zuschoben und der Zug weiterfuhr. (…) Am nächsten Tag (nach einemeintägigen Zwischenaufenthalt im Konzentrationslager Groß-Rosen bei Breslau) wurden wir Frauen zu einer anderen Bahnstation geführt und in die Viehwagen gesteckt. Diese Fahr dauerte wesentlich länger. (…) Der Zug hielt mehrmals für längere Zeit an, die Tür wurde aber niemals geöffnet. Am meisten fehlte uns Wasser, einige von uns hatten noch etwas zu Essen und teilten es. Erschöpft gelangten wir ans Reiseziel: Ravensbrück.“

Quelle: Karolin Steinke, „Züge nach Ravensbrück. Transporte der Reichsbahn 1939-1945“, S. 87, Metropol Verlag Berlin, 2009; ISBN 978-3-940938-27-5

Auch die Mutter und die Großmutter von Hanna Nowakowska, der aktuellen Vizepräsidentin des IRK, Janina Ciszewska und Wladislawa Buszkowska, wurden nach der Niederschlagung des Warschauer Aufstands nach Ravensbrück verschleppt. Janina Ciszewska, damals 24 Jahre alt, erinnert sich: „Die Deutschen drohten, Granaten in den Keller zu werfen, in dem meine Mutter und ich bis dahin gelebt hatten; das Gebäude selbst war zuvor bereits bombardiert worden. Wir sind in die St. Jacek Kirche gelaufen, in der sich auch ein Krankenhaus der Aufständischen befand. Dort konnten wir etwa zwei Wochen bleiben, bis die Deutschen auch dort damit drohten, die Kirche zu bombardieren, wenn wir uns nicht ergeben. Einer der Männer ging mit einer weißen Fahne raus und wir verließen die Kirche. Die Deutschen drängten uns in Richtung Wola. Dann sind wir nach Pruszkow gegangen. Von dort wurden wir in Viehwagons zum Lager Ravensbrück gebracht. Ab und zu gab es Rastpausen und die Leute vom Roten Kreuz gaben uns Wasser und manchmal ein Stück Brot. … Als wir in Ravensbrück ankamen, haben sie uns zu solchen quasi Zelten ohne das Oberteil getrieben. Alles war schmutzig und voller Ungeziefer. Dort saßen wir eine ganze Woche. Dann haben sie uns in eine Badeanstalt gebracht, die Haare abgeschnitten und dann nach draußen getrieben. Zwei Tage lang hielten sie uns unbekleidet auf dem Hof fest. Und es war schon kalt, weil wir dort Ende August angekommen waren. Dann haben sie uns Kleidung gegeben – für die Köpfe eine gestreifte Kapuze und außerdem verschiedenartige Kleider mit auf dem Rücken aufgenähten Kreuzen, weil es die gestreifte Häftlingskleidung schon nicht mehr gab. …“

Stanisława Tkaczyk, damals 17-jährig, berichtete: „Wir haben in einem der Warschauer Keller geheiratet – so war es während des Aufstands üblich. Wir wussten damals nicht, ob und wie lange wir noch leben würden. Jede Stunde drohte mit dem Tod, und wir wollten zusammen sein. (…) Wir waren jung, verliebt – das war unsere erste Liebe. (…) …Wir haben alle gekämpft, die ganze Zivilbevölkerung. Wir organisierten Lebensmittel für ältere Personen, wir hoben Schützengräben aus. Unser Haus war völlig verbrannt, wir flohen in ein anderes Gebäude und dort, im Keller, verbrachten wir fast zwei Monate. Es mangelte an Wasser. Um es zu holen, musste man über eine Straße gehen, die von Deutschen beschossen wurde. Da gruben wir, junge Menschen, tiefe Tunnels. Mit der ausgegrabenen Erde machten wir einen Wall, damit man uns beim Rübergehen nicht sieht. (…) Als wir Warschau verlassen mussten, gingen wir wortwörtlich über Leichen.(…) Wir kamen in ein Übergangslager in Pruszków. Ich erinnere mich, wie die Menschen riefen, wie sie sich in der Menge suchten. Von da wurden die Menschen in die Lager transportiert. (…) Wir wurden aus Pruszków in Viehwaggons in einem unheimlichen Gedränge transportiert. Wir konnten unsere Notdurft nicht verrichten. Der Zug war umgeben von bewaffneten jederzeit zum Schießen bereiten Soldaten. Erst nach einigen Tagen wurde ein Halt angeordnet und wir durften für eine Weile die Waggons verlassen. Sie haben uns schlechter behandelt als Tiere. Wir wussten nicht, wohin wir fahren. Sie sagten uns, dass wir arbeiten werden. Als wir ankamen, stellte sich heraus, dies sei ein Konzentrationslager. Alle weinten und jammerten. Und die Begrüßung – ein Spalier von Aufseherinnen und Wächtern mit Waffen und großen Hunden, die sich herumbalgten, bellten und in unsere Richtung laufen wollten. Wir waren durchgefroren, erschrocken, wir wussten nicht, was wir machen sollten. Eine der Frauen sagte zu uns: „Das ist ein Konzentrationslager, wir werden da nicht mehr herausgehen.“ Entsetzen – wir waren doch jung, schön, gesund.“

*Das „Dulag 121 Museum“ in Pruszków beherbergt ein im Jahr 2011 gegründetes Archiv mündlicher und schriftlicher Berichte über das Warschauer "Durchgangslager 121“. *