Auschwitz: Herbst 1942, Ravensbrück: 11. November 1942 – Außenlager Neubrandenburg, 1944 - Mai 1945
Ökonomin
Nadja Kalnitzkaja wurde am 26. April 1923 in einem kleinen Dorf im Gebiet Kursk geboren. Sie wuchs mit sieben Brüdern in einer Familie auf, die einen landwirtschaftlichen Betrieb hatte. Im Zuge der Zwangsenteignungen verlor die Familie ihren Besitz, wurde getrennt und Nadja gelangte mit ihrer Mutter in den Norden des Landes.
Während des Krieges schickte man sie mit ihrer Schulklasse an die Front, um dort für die Rote Armee Panzersperren zu bauen. Nach einem Angriff, bei dem viele umkamen, geriet Nadja Kalnitzkaja mit einigen Kameradinnen in deutsche Gefangenschaft. Nun mussten sie für die deutschen Truppen Panzersperren bauen. Im Juni 1942 kam die 19-Jährige von dort ins rheinische Remscheid, wo sie bei der Automobilfirma Fritz Keiper Zwangsarbeit leisten musste. Als eines Tages drei Waggons mit fertiger Produktion in Brand gesteckt wurden, beschuldigten Arbeitskolleginnen sie und zwei andere ukrainische Frauen dieser Tat. Den drei jungen Frauen gelang es zu fliehen, aber in Polen wurden die wegen Arbeitssabotage Gesuchten von der Gestapo aufgegriffen.
Nachdem sie zunächst im Herbst 1942 für kurze Zeit in Auschwitz inhaftiert waren, kamen sie schließlich über das Gefängnis Berlin Alexanderplatz am 11. November 1942 in Ravensbrück an (n° 14 995). Die eine der mit ihr geflohenen Kameradinnen starb in der Haft, die andere verlor sie aus den Augen. In Ravensbrück musste Nadja Kalnitzkaja schwere Arbeit im Straßenbau-Kommando verrichten. Zu ihrem Glück, wie sie sagt, wurde sie dann im Frühling 1943 der Drahtspulerei der Firma Siemens & Halske, in unmittelbarer Nähe des Stammlagers, zugeteilt. Dort war sie den Witterungseinflüssen und körperlichen Belastungen weniger ausgeliefert. Wie viele sabotierte auch Nadja Kalnitzkaja die Produktion, wo sie konnte. Die letzten Monate ihrer Gefangenschaft verbrachte sie im Außenlager Neubrandenburg bei der Munitionsfabrik der Firma Mechanische Werkstätten GmbH.
Nach der Befreiung durch die Rote Armee wurde sie wegen ihrer guten Deutschkenntnisse für einige Zeit von der russischen Militäradministration in Neubrandenburg beschäftigt. Ihre Lagerfreundin war Nora Idsikowskaja, ein Mädchen von der Krim, der es gelang, ihre jüdische Herkunft zu verbergen und mit der sie die Haftzeit gemeinsam durchstand. Auch nach dem Krieg blieben sie eng befreundet. Nach mehreren Schicksalsschlägen heiratete Nadja Kalnitzkaja schließlich den verwitweten Bruder einer Freundin, einen Offizier, der zwei Kinder mit in die Ehe brachte. Lange war sie beruflich als Ökonomin tätig, zuletzt arbeitete sie in Sibirien mit ihrem Mann in der Lebensmittelindustrie.
Auf Einladung von Charlotte Müller, die auch Ravensbrückhäftling gewesen war, kam sie nach zwanzig Jahren erstmals wieder nach Deutschland. Lange Jahre lebte Nadja Kalnitzkaja in Mariupol in der Ukraine. Sie war viele Jahre Mitglied des IRK. Am 24.11.2020 ist sie verstorben.
(Quelle: Europa im Kampf 1939-1944.Internationale Poesie aus dem Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück, S.186/187, Hrsg.: Constanze Jaiser, Jacob David Pampuch, Metropol 2005, ISBN 3-936411-61-1)