geboren am 29. April 1924 in Paris
verstorben am 08. November 2021 in Paris
Ärztin
Ravensbrück: 18. Mai 1944 , Juni 1944 Hannover-Limmer (Außenlager von Ravensbrück) – 15. April Befreiung in Bergen-Belsen durch britische Truppen
Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter die Medaille eines Kommandeurs der französischen Ehrenlegion und den Verdienstorden des Landes Brandenburg.
Annette James-Weill wurde am 29. April 1924 in Paris als zweite von drei Schwestern geboren. Sie entstammt einer sehr patriotisch eingestellten französischen Familie jüdischer Herkunft. Einen ersten Eindruck von den Veränderungen in Deutschland unter dem Nationalsozialismus bekam sie bereits in den dreißiger Jahren als Schülerin: in den Schulen gab es immer mehr Immigranten, die wegen Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Verfolgung Deutschland verlassen musste. Nach dem Abitur nahm sie in Paris das Studium der Medizin auf. Nach der Besetzung Frankreichs durch die deutsche Wehrmacht begannen auch hier sehr schnell die Verfolgungen aus rassistischen Gründen. Am 12. Dezember 1941 wurde ihr Vater bei den Massenverhaftungen städtischer Angestellter jüdischer Herkunft erstmals verhaftet und in dem berüchtigten Lager Compiègne- Royalieu interniert. Im März 1942 kam er dank der Intervention seiner Frau wieder frei. Nach seiner Freilassung im April 1942 zog die Familie in die noch nicht von den Deutschen besetzte „zone libre“ (freie Zone) und organisierte sich neue Ausweispapiere mit dem Decknamen „Warnod“. Annette setzte ihr Studium der Medizin in Toulouse fort. Der Vater schloss sich der Widerstandsbewegung, der Résistance, an. Annette und ihre ältere Schwester halfen ihm dabei, möglichst viele Gefangene aus den Internierungslagern in Südfrankreich zu befreien, um sie vor der Deportation zu retten. Sie verschafften ihnen neue Ausweispapiere mit falscher Identität, organisierten Fluchtwege nach Spanien oder versteckten sie in privaten Unterkünften. Aufgrund einer Denunziation wurden sie am 8. März 1943 zusammen mit sechzig anderen Personen verhaftet, ihre Mutter und ihre jüngere Schwester konnten versteckt werden und entgingen der Verhaftung. Sie überlebten. Annette war zunächst zwei Monate im Gefängnis Saint-Michel in Toulouse eingesperrt und wurde dort den Verhören unterzogen. Da sie unter ihrem Decknamen verhaftet worden war, blieb der Gestapo ihre wahre Identität verborgen. Anschließend wurde sie in Romainville inhaftiert, ein Fort in Paris, das der Gestapo als Sicherungshaftlager und Ausgangsort für Deportationen diente. Von dort kommend traf sie schließlich am 18. Mai 1944 in Ravensbrück ein. Vier Wochen später wurde sie nach Hannover-Limmer verschleppt, wo sie in der Gasmaskenproduktion der Continentalgummi GmbH an einer Drehscheibe und am Hochofen Zwangsarbeit leisten musste. Sie wurde, wie sie es selbst ausdrückte, „von einer Fabrik gekauft, um für die Rüstungsindustrie zu arbeiten.“ Die SS trieb sie am 6. April 1945 auf einen dreitägigen Todesmarsch nach Bergen-Belsen, wo sie die Lagerbefreiung durch die Britische Armee am 15. April 1945 erlebte. Zum Zeitpunkt der Befreiung war gerade eine außergewöhnliche Typhus-Epidemie ausgebrochen. Die befreiten Gefangenen wurden in Kasernen umgesiedelt, in denen Annette ihre Freundinnen pflegte, ehe sie am 30. Mai 1945 nach Paris zurückkehrte. Vom Schicksal ihrer älteren Schwester erfuhr Annette erst 1945: Über Drancy nach Auschwitz deportiert, überlebte auch sie und kehrte erst im Juli 1945 nach Frankreich zurück. Anders ihr Vater – mit Annette Chalut zunächst nach Paris deportiert, kam er ebenfalls nach Auschwitz und verstarb dort aber am 3. Oktober 1944. Seit ihrer Rückkehr engagierte sie sich fürdie Interessen der ehemaligen Deportierten. Nach dem Abschluss ihres Medizinstudiums arbeitete sie als Arbeitsmedizinerin im Centre de Réforme, welches dem Ministerium der ehemaligen Kämpfer unterstellt war. Zeitgleich kümmerte sie sich um die medizinische Versorgung ihrer ehemaligen Kameradinnen aus der Résistance und der Deportationszeit. 1948 heiratete sie einen Kollegen, einen Arzt, der ebenfalls in der Résistance gekämpft hatte und ins Konzentrationslager Buchenwald verschleppt worden war. Sie hat mit ihm drei Kinder. Bis 1990 war Dr. med. Annette Chalut als Ärztin berufstätig. Nachdem sie in Rente gegangen war, wurde sie aktives Mitglied in den verschiedenen Zusammenschlüssen der ehemaligen Widerstandkämpferinnen und Deportierten. Seit 1990 ist Annette Chalut Mitglied des Verwaltungsrates (Conseil d’administration) der Vereinigung der ehemals internierten und deportierten Widerstandskämpferinnen (Association des anciennes déportées et internées de la Résistance – A.D.I.R.), die sie seit 1992 im Internationalen Ravensbrück-Komitee (IKR) vertritt. Nach dem Tod von Rose Guérin wurde sie 1999 zur Präsidentin des Internationalen Ravensbrück-Komitees gewählt. Seit Juni 2001 vertrat sie das IRK in der Beiratskommission zur Erforschung der Konzentrationslager der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten und beteiligte sich in dieser Funktion aktiv an der Neugestaltung der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück. Heute ist Dr. Annette Chalut die Ehrenpräsidentin des Internationalen Ravensbrück Komitees. Für ihr Engagement erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen, darunter die Medaille eines Kommandeurs der französischen Ehrenlegion.
Quellen: Ravensbrück-Blätter, Dezember 2012, Portrait, geschrieben von Rosel Vadehra-Jonas und „Europa im Kampf 1939-1944. Internationale Poesie aus dem Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück“, S. 179-181, 2005 Metropol Verlag, ISBN 3-936411-61-1